Grosser Münsterländer Zwinger "vom vorderen Kraichgau"

 

Flächenverbrauch (als Unwort: Flächenfraß)

Die Bedeutung und kontextuelle Positionierung des Wortes „Flächenfraß“ ist in einem SZ-Artikel gut wiedergegeben. Der Flächenbedarf ist die Folge von Änderungen in der Wirtschaft und Dienstleitung; von Mobilität, Binnenumsatz, Wohnbedarf und Freizeit. Er ist regional sehr unterschiedlich, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa.
Politisch war das Thema bereits unter Brandt/Genscher in 1971 bereits beschrieben, aber musste wie so oft andere Prioritäten (Wachstum und Wohlstand) weichen. Aktuell werden diese Ziele mit dem Jahr 2030 verknüpft, ob das nun realistisch ist, ist eher mit der Umsetzung der anderen 2030-er Ziele korreliert.
Analysiert man die Statistik BW nach entsprechenden Ursachen sind die Faktoren Wohnbedarf und Verkehrsfläche deutlich erkennbar. Rechnet man Bevölkerungszuwachs (Geburt und Zuzug) dagegen, fällt auf, dass die „pro Kopf Wohnfläche“ ein Grund ist. Dieser erklärt sich aus zwei Faktoren: Single-Haushalt und Rentner, wohnhaft in Eigentum. Letztere braucht vielleicht Erläuterung:
Viele Einzel- oder Doppelhäuser wurden von jungen Familien geplant und „gebaut“. Nach 30 bis 40 Jahren sind die Kinder ausgezogen, die Eltern oftmals noch sehr rüstig. In einigen Fällen lebt noch ein Partner im Haus. Die Mobilität (Wohnungswechsel), die man im Bereich Wohneigentum kennt, ist im Hausbestand nicht vorhanden (weder ideell noch als Markt).
Mindestens vier Themenkomplexe laufen hier parallel und/oder interagieren miteinander. Aus Sicht der aktuellen politischen Entwicklung (BW, Deutschland, Europa) müssen einzelne Aspekte unterschiedlich bewertet werden. Es gibt auch eine Wahrnehmung, dass in der Vergangenheit lokale Behörden zu freizügig waren und Regionalverbände/Regierungspräsidien (zu) wenig Aufsicht ausgeübt haben. Obwohl die Argumentation (seitens Regierung wie auch im Volksantrag) sehr intuitiv und für eine breite Gesellschaftsschicht zugängig ist, sind Lösungskonzepte nicht konfektionierbar (Städtebau für ländlichen Raum). Mit dem EU-Gesetz der Renaturierung und dem Landesbestreben zu Biotopverbund werden bedeutsam mehr Flächen ihrer derzeitigen Verwendung entzogen als hier im Kontext Wohnungsbau/Gewerbegebiet betroffen sind.


1. Parallel-Agenda: Wohnungsbau
Irgendwie war’s im Jahr 2022 wieder angebracht das Thema in BW zu positionieren. Daraus entstand dann einen gemeinsamen Aufruf „Ländle Leben Lassen“ mit einem geplanten Volksantrag. Die Anforderung 2 (Mindestwohnbaudichte von mindestens 60 Personen pro Hektar) sticht heraus und ist m.E. theoretisch, am Schreibtisch entwickelt und so im ländlichen Raum nicht erreichbar.
Da es nur ausschließlich um neuen Wohnbaugebieten handelt, wird sich über Jahren in den Ortschaften eine deutliche Differenzierung zwischen alten und neuen Wohnviertel einstellen. Diese Situation ist aus anderen Ländern bekannt und ist nicht mit „städtischen Wohnklima“ gleichzusetzen.
Will man höhere Mindestwohnbaudichten realisieren, darf sich die Betondichte nicht proportional erhöhen (zusätzliche Stellplätze, Mehrgeschosse, weniger oder kein Garten).
Höhere Mindestwohnbaudichten wird der pro-Kopf Nutzfläche des Hauses/der Wohnung reduzieren und somit Anforderungen an den Versorgungssektor (Lebensmittel, Möbel, etc.) richten.
Konzepte mit höheren Mindestwohnbaudichten sind im städtischen Umfeld erprobt und justiert worden. Dort gibt’s eine Infrastruktur für Verkehr, Schule, Versorgung, etc., die im ländlichen Raum so nicht vorhanden ist, da sie von der existierenden Einwohner so nicht (mehr) angenommen wird.
Was sind Gegenargumente:
Die Argumentation des Volksantrag ist sehr intuitiv. Der, der sein Haus bereits hat, wird vom Volksantrag nicht beschränkt. Dessen nächste Generation (Kinder, Enkel) wird.
Mit dem Anstieg der Darlehenszinsen sind viele Bauvorhaben inzwischen verschoben oder storniert.
Der Flächenbedarf wird über die Wirtschaft (Arbeitsplätze) generiert. Serviceindustrien ziehen vielfach junge Erwachsenen an und nutzen deren Mobilität. Der Flächenbedarf ist somit heterogen: die Situation in Metropolregionen ist nicht mit dem ländlichen Raum vergleichbar.


2. Parallel-Agenda: Gemeinden und Behörden
Neubaugebiete entstehen nicht innerhalb von Wochen oder Monaten; es sind mehrere Behörden direkt oder indirekt involviert. Wieso vermitteln Bundes- und Landesministerien den Eindruck, dass wir seit Jahren über unsere Verhältnisse gelebt haben und die Gesellschaft sich dazu positionieren muss? Was in der behördlichen Kontroll- und Steuerungsfunktion funktionierte nicht? Angesprochen sind Gemeindeverwaltung und Gemeinderat, Kreisrat und Kreistag, Regionalverband und Regierungspräsidium.
In vielen Neubaugebiete der letzten 40 Jahren gibt es viele Baulücken, dessen Eigentümer das Grundstück zuerst für deren Kinder sicherten. Als die weggezogen waren, sollten Enkelkinder im Genuss des Bauplatzes kommen. Irgendwann generierte die Sicherung eine deutliche Wertsteigerung (Erbschaft, Versorgungsgarantie). Wieso beschränkt die Gemeinde die Auflassung nicht nachträglich? Vieles hat sich geändert, wieso soll hier in der Strategie der kommunalen Bauordnung nicht nachjustiert werden dürfen? Anscheinend fürchtet man für Diskussionen und Prozesse mit einflussreichen Bürgern. Mit dem Ausweis von neuen Baugebieten kann man andere Bürger beglücken, ohne sich mit anderen zu verärgern.
Der Ausweis von neuen Baugebieten ist auch ein Zeichen, dass man junge Generationen binden möchte. Ist der Bedarf weniger evolutionär (also aus der lokalen Bevölkerung), sondern wirtschaftlich begründet, gibt es auch ein quasi Wettbewerb um Zuzügler. Ihrerseits die zukünftige Auslastung der Gemeindeinfrastruktur (wie Kindergarten und Schulen) aus den Daten des Einwohnermeldeamtes mit einem Vorlauf von 3 bzw. 6 Jahren herleitbar.  Die Notwendigkeit Zuzug strategisch anzugehen, darf dort ebenfalls abgeleitet werden, steht aber auch im Kontext eines regionalen Ausgleichs.
Nachverdichtung ist eine Alternative zu Wohnraumbeschaffung, kann aber oft mengenmäßig nicht mit einem Neubaugebiet Schritt halten. Kombiniert mit Wohnalternativen (Senioren bzw. Mehrgenerationen) kann sie größere Immobilien sinnvoll verfügbar machen.
Mit dem Urteil des BVerwG zu §13b Satz 1 BauGB (Juli 2023) können Freiflächen, außerhalb des Siedlungsbereichs im beschleunigten Verfahren (ohne Umweltprüfung) nicht mehr überplant werden, da es europarechtswidrig ist. Die Filetiervariante (Salami-Methode) ist hinfällig geworden, sodass Planungsphasen ausreichend lange Einsicht bekommen.


3. Parallel-Agenda: Landwirtschaft
Anforderungen 3 und 4 des Volksantrags beschäftigen sich mit der Sicherstellung der fruchtbaren Böden und der landwirtschaftlich genutzten Flächen. Damit sind die Personengruppen Eigentümer und Bewirtschafter gemeint. Bei einer Pachtrate von 60% (fast homogen über Deutschland) sind die Eigentümer, die nicht bewirtschaften, eine stark gemischte Gruppierung, bestehend aus institutionellen Anlegern (besonders in den neuen Bundesländern), kirchliche Institutionen, Gemeinden und Erben.
Nicht nur die Güte des Bodens bestimmt der Pachtpreis, sondern auch der Zweck des Anbaus. Nachdem Biogas und Biosprit im Jahr 2003 bereits per EU-Richtlinie beschrieben wurden, hat man unter dem Slogan „CO2-Neutralität“ eine stetige Förderung jener Pflanzkulturen angestrebt. Zur Auslastung der Biogasanlage musste der Landwirt ausreichend Masse zur Verfügung haben, dass oftmals in einem „dazu pachten“ resultierte. Angebot + Nachfrage resultierten in Pachtpreise, die 250% der alten waren.
Zwei potenzielle Einnahmenquellen sind für Eigentümer noch interessant: die „letzte, goldene Ernte“ (Verkauf, oft im Kontext eines geplanten Neubaugebiet) und die Aufstellung von Windkraftanlagen. Im letzteren Fall werden die Flächen zum 10-fachen Wert über bis zu 25 Jahren verpachtet. Pro WKA sind das „nur“ einige ha, aber neben einem WKA steht oftmals ein weiteres. Nachdem das Aufstellen im Forstbereich (wegen der Umtriebszeit) politisch weniger interessant geworden ist und somit die Einnahmensicherung weniger dem Staatsforst und die Gemeinde zufällt, sind die ehemalig starke Bekämpfer der Windenergieerzeugung inzwischen starke Befürworter geworden.
Die landwirtschaftliche Produktion erzielt (flächenanteilig) 60% Futtermittel und 16% nachwachsende Rohstoffe (Mais, Raps, etc.). Inzwischen wird mehr als 10% der Fläche von Ökobetrieben bewirtschaftet. Der großflächige und umweltoffene Einsatz der Pflanzenschutzmittel ist nicht nur mit einem hohen Nutzen für die landwirtschaftliche Produktion, sondern immer auch mit hohen Risiken für die Natur, das Grundwasser und die biologische Vielfalt verbunden.
Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, meldet sich regelmäßig in den Medien. Die Gesamtlage der Landwirtschaft kommentierte er anlässlich des Deutschen Bauerntages. Hier stechen zwei Themen heraus: die Versorgungssicherheit mit Lebensmittel und die Situation der Jungbauern und deren Familien. Die Notwendigkeit des Pflanzenschutzes kommentiert er im Kontext der Biodiversität (und des Projekt F.R.A.N.Z.). Die Renaturierung (u.a. Vernässung der Moore, etc.) wurde am 11.7.2023 vom EU-Parlament beschlossen.
Betrachtet man aus aktueller Lage die sich abzeichnenden Flächenwandlung für die Landwirtschaft in Deutschland, bestimmen Siedlungsansprüche einen kleinen Anteil. Viel größer und bedeutsamer sind Biotopverbund (15% der Fläche bis 2030), die Renaturierung und die Erhaltung der Brachen. Die mediale Aufmerksamkeit dient m.E. eher dazu von den CRISPR/Cas und Glyphosatbestrebungen abzulenken.
Einerseits beansprucht die Deutsche Landwirtschaft Entscheidungsfähigkeit (auch auf Basis der „gute fachliche Praxis“), beschwert sich über den wirtschaftlichen Stellenwert (zu geringen Erträgen, Generationswechsel) und klagt öffentliche Unterstützung ein. Als Unternehmer argumentieren sie aber wieder auf Basis „freier Marktwirtschaft“. Alles sehr widersprüchlich.


4. Parallel-Agenda: Naturschutz
So wie die Landwirtschaft auf dieses Thema (zuständig in BW ist das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen) aufgesprungen ist, haben die Naturschutzverbände sich ebenfalls dahin ausgerichtet und sympathisieren gegenseitig. Ursprünglich im Jahr 2022 vom LNV initiiert, war die Pressekonferenz „Ländle Leben Lassen“ am 27.4.2023 schon von den Bauernverbänden dirigiert. Seitdem haben sich 5 zusätzliche Vereine/Verbände aus dem landwirtschaftlichen Bereich angeschlossen. Bewusste Ablenkung oder eine Verwechslung Quantität mit Qualität?
Diese Wahrnehmung (der Übernahme) konnte ich Ende Juni 2023 mit einem Naturschutzverbandsfunktionär spiegeln. Wieso dieses Rollenspiel so akzeptiert wird, wurde abschließend beantwortet mit „es sichert meinen Job“. Schade war, dass damit eine andere Wahrnehmung ebenfalls bestätigt wurde.
Die aktuelle mediale Aufmerksamkeit zu Gunsten des Naturschutzes ist groß und gut. Mit dem EU-Beschluss zur Renaturierung, den Landesbeschluss zu Biotopverbund“ und das Urteil des BVerwG zu BauGB §13b ist der Flächenverbrauch an vielen Stellen umgelenkt worden. Den Netto-Zugewinn (Fläche) aus der Aktion „Laendle Leben Lassen“ ist sehr gering („neue Neubaugebiete“ in einer Phase der stagnierenden Wirtschaft), sodass andere Faktoren (aus dem Volksantrag) als treibend angesehen werden müssen. Die Staatssekretärin hatte sich bereits Ende 2022 mit ihren Zielen geäußert. Mein Schreiben an Sie vom Anfang Mai 2023 zu den anderen Zielen aus dem Volksantrag wurde inzwischen beantwortet. Sie bewegt sich nicht in anderen Domänen (als Ende 2022 geäußert). Haben Vereine und Verbände somit eine Gunst der Stunde erkannt?

27.07.2023/PC





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